Die Prüfung
Seltenheit
Buckelpistenfahren ist derzeit, da brauchen wir nicht drum herum reden, eine selten praktizierte Sportart. Um uns Gummihunde aktiv werden zu lassen, müssen einige Faktoren zusammen kommen:
Eine ordentliche Kondition der Ausübenden und wenig Körpergewicht – jedes Kilo muss ausgefedert werden. Dann jahrelanges Üben und Erweitern der eigenen Fähigkeiten unter Anleitung oder zumindest mit Anschauungsmaterial – also anderen Buckelpistenfahrern in Reichweite. Drittens: Ausreichend viel Schnee auf der Piste, also mindestens 70 cm, damit die Buckel nicht mit Erde und Steinen durchsetzt sind. Keiner mag die Geräusche, die entstehen, wenn Gesteinsbrocken in die Gleitflächen hinein schlagen. Viertens: Die Beteiligten dürfen sich nicht verletzt haben.
Wenn alle Voraussetzungen vorhanden sind, dann geht die skifahrerische Post ab. Alleine fahren die Hunde, zu zweit oder sogar zu fünft, denn Buckelpistenfahrer stellen vielleicht den hundertsten Teil der Population dar.
Fahren sie mit oder gegeneinander? – Beides würde ich sagen.
Abends, nach einem ausgiebigen Buckeltag kann es passieren, dass die Hundemeute, falls sie aneinander Gefallen findet, zu einer Hütte an der Piste geht. Die Rituale in dieser Hütte sind Teil des Verfahrens, sich etwas zum Nase-an-Nase-Reiben zu suchen. Einige Buckelpistenfahrer haben bei diesen Gelegenheiten auch schon ab und an einen Punkt des nachhaltigen Interesses finden können, sagen leise ausgespochene und stark tendenziös gefärbte Gerüchte, die sich aber hartnäckig halten.
Die Hunde stehen nach dem Skifahren nicht bleich und desinteressiert in der Ecke rum, solange die Musik überzeugend und rythmisch ist, sondern sie tanzen. Ihr wollt die Gründe für dieses Verhalten wissen? Ganz einfach:
Kuckt Euch diese Vorschläge an, dann kapiert Ihr es.
Notenverteilung
Um eine Bewertung der Präsentationen in der Buckelpiste zu ermöglichen, muss man Kriterien anlegen. Das ist nicht so einfach wie bei den Disziplinen des Torlaufes, wo ganz unkompliziert eine Stoppuhr zum Einsatz kommt. Die verschiedenen Persönlichkeiten der Fahrer erhalten bei Wettkämpfen keine Wertschätzung. Alle Vorgänge zwischen Start und Ziel werden auf eine Zahl abgebildet. Die Bewertung entscheidet und jeder hat mittlerweile in der Hosentasche eine Stoppuhr parat. Wir müssen eine Schablone anfertigen, nach deren Vorgaben wir die Aktionen abmessen. Dadurch wird die Ökologie der Ansätze beschnitten und der Wettbewerb ein wenig langweilig gemacht.
Auf einer regelmäßig ausgefahrenen Wettkampf-Buckelpiste sehen alle Schwünge eher uniform aus. Das war nicht immer so. Damals, zu Zeiten der Ski-Akrobatik, ist nicht selten mal ein Ski abknallt oder ein unerwarteter Schlag passiert. Dann ist man halt auf einem Ski weitergefahren, was soll’s, oder ohne Ski auf blanken Skischuhen – auch das war zu sehen. Das hat das Amusement gefördert, darüber konnte man ausgiebig lachen. Solche Dinge wurden „Recoveries“ genannt. Man brauchte nur irgendwie die Ziellinie erreichen. Der Rest war dann nicht so wichtig. Die Reflexe, die bei Sturzmanövern zur Geltung kamen, wurden auch bewertet, schließlich heißt der Sport „Freestyle“. Auch wir könnten, Jahrzehnte später, diese Freiheit durchaus weiter geschehen lassen, denn das ist immer noch möglich. Bei heutigen Wettkämpfen werden diese Dinge allerdings unterdrückt oder zumindest nicht wahrgenommen.
Das Gute an Wettkämpfen
Das Gute an Wettkämpfen ist, dass immer ein paar Gleichgesinnte unterwegs sind – andere Leute mit vergleichbaren Interessen sind da, und man macht nicht alleine sein Ding. Bei organisierten Rennen sind die Buckel allerdings so präpariert, dass sie wie Treppen von einer höheren Etage ins Erdgeschoss hinabführen. Alles ist regelmäßig angelegt.
Zu den aktuellen, im Fernsehen übertragenen Wettkämpfen kann ich sagen, dass ich noch nie oder selten Leute gesehen habe, die sich so fix bewegen wie diese Typen – und wehe, einer widersetzt sich dieser Aussage. Ist doch so. Sie bewegen ihre Körper extrem fix, auch im Vergleich zu Leichtathleten oder Schwimmern, die ja auch ihre Bewegungen machen. Jeder Körperteil bewegt sich: Die Beine, klar, dann die Arme beim Stockeinsatz und der Oberkörper mit Beuge- und Streck- Bewegungen.
Das Verhalten bei Wettkämpfen
Ich kann mich noch an die erste Olympiade erinnern, bei der diese Sportart – wahrscheinlich sogar dummerweise – im Programm war. War es in Tignes in Frankreich? Das waren noch originale Hot-Dogger. Keiner der Typen machte den Eindruck, unbedingt aufs Treppchen hoch kommen zu müssen. Nach dem Finallauf schauten diese Typen zur Anzeige hoch – das macht erst mal jeder Athlet – aber sie fingen dann an, die Augen zu rollen und Grimassen zu schneiden. Da war ihnen ein Ziel schnuppe, das normalerweise nicht vernachlässigt werden durfte. Die persönliche Platzierung? – Ist uns doch total egal, meinten sie – und kasperten herum bei einer Veranstaltung, bei der so viel Geld gedruckt wird.
Ihr glaubt es nicht? Die Aufnahmen liegen in den Archiven der Sender und wer sucht der findet.
Die Notwendigkeit von Wettkämpfen
Derzeit gibt es Buckelpistenkämpfe meines Wissens nach nur auf nationaler, europäischer und Welt-Ebene – nicht darunter. Müssen die Hunde eigentlich gegeneinander kämpfen? Kämpfen, wie moderne und humorbefreite Gladiatoren, nur damit die Zuschauer sagen: oha, der da ist der 14. und der sogar der fünfte in der Weltrangliste? Warum nicht mal anders: Schau an, da sind ein paar ganz seltene Exemplare anwesend und es ist doch schön, so etwas mal zu in echt sehen.
Eine Prüfung und ihr Für und Wieder
Ich habe einen Lösungsvorschlag zu diesem Problem entwickeln können. Ich denke, wir können über einen Nachweis nachdenken – oder auch nicht. Ich sage das nun Folgende nicht in der vollen Härte des Gesetzes, sondern eher gummiartig – nicht mit zusammengebissenen Zähnen, sondern unter dem Vorbehalt des soeben erwähnten Augenrollens und Grimassierens.
Bei Kampfsportarten wie dem Judo gibt es gewisse Vorgaben und wenn die erreicht sind, bindet sich der Athlet einen Gürtel um den Bauch, ein Band, das – mit dem wachsenden erworbenen Können – immer dunkler wird. Könnten wir solche Gürtel nicht auch an Buckelpistenfahrer verteilen?
Ich stelle mir das so vor: Wir haben drei Hänge in drei Skigebieten. Es handelt sich um längere und steilere Buckelpisten. Nun werden Prüfungen abgelegt: Zuerst sollen die Hunde zeigen, dass sie sauber und ohne tricksen zu müssen, die Buckel befahren können. Die Beine schwingen hochfrequent und der Oberkörper bleibt ruhig. So, wie sich das gehört.
Diese Leistung sollen die Fahrer aber gut hinbekommen. Wenn diese Präsentationen aussehen als seien sie dabei, die ältesten Gesetze des Skifahrens auf eine gekonnte und eigene Weise neu zu erschließen, wenn sie das Extremste aus den „Ärmeln“ schütteln und es aussieht, als würde sie genau das bereits langweilen, dann sind sie bereit für folgenden Schritt.
Sie bekommen die Möglichkeit, das Reich der Freiheit an zu testen – einen Ort, von dem aus alles möglich ist.
Wie das geht? Nun, sie dürfen die Piste in gerader Linie durchfahren. Eine Schussfahrt in der Buckelpiste. Wenn sie das ohne Fehler absolvieren, bekommen sie ein Zertifikat überreicht. Wer eine derartige Prüfung auf den Hängen besteht, bekommt einen Titel zugesprochen – der wie auch immer lautet, z.B. geprüfter Buckelpisten-Freestyler. Wäre das denkbar?
Das wäre dann aber die einzige Prüfung. Mehr braucht es nicht. Denn dieser Test würde zwei Gruppen voneinander trennen: Die, die diese Messlatte nicht überwinden können, lernen noch. Die anderen befinden sich in komfortabler Höhe – dort, wo alles möglich ist. Welche Probleme sollen in den Buckeln auch auftreten, die größer sind, als die einer kontrollierten Schussfahrt? Wenn jemand diesen Bereich erreicht hat – also eine Buckelpiste in gerader Linie nimmt – ist das eine gute Leistung und wir sollten von da an aufhören, das Können, welches auf gewisse Weise vollendet ist, weiter zu bewerten.
Der Vorteil einer derartigen Prüfung wäre: Wir bräuchten nicht ständig und in ermüdender Weise fragen: „Wer ist gut, wer ist sehr gut, wer ist sehr sehr gut“. Die kleinen Unterschiede würden nicht mehr entscheiden. Wobei ja bei den Wettkämpfen immer nur einer siegt und die anderen verlieren. Ob Du jetzt 1% schlechter bist, als der Beste, oder 5%, oder 10% das ist doch egal, anders als bei den Rennläufern. Wenn Du diesen Bereich erreicht hast, ist Dein Können akzeptabel.
So die Idee.
Aber wollen wir überhaupt eine Prüfung?
Unser Sport wird nicht betrieben, um Auszeichnungen zu erhalten. Der Genuss besteht in jeder einzelnen Fahrt. Leichtathleten ärgern sich, wenn sie nicht ab und zu an ihre Topleistungen anschließen können. Wir Buckelpistenfahrer ärgern uns nicht und erheitern uns über jede Performance irgend eines Tages, auch wenn sie nicht die beste Leistung unseres Lebens darstellt.
Buckelpistenfahrer agieren auf einem Niveau, dass unbekannt ist. Die Zuschauer sehen und staunen. Und sollen jetzt auch noch schwarze Gürtel hinzu kommen?
Freestyle ist ein traditioneller Begriff für unseren Sport. Der Ausdruck Freestyle entstand aufgrund der Ski-Lehrplänen der 70-er Jahre. Die Verfechter dieser alten Pläne behinderten unsere Freiheitsliebe auf alle möglichen Weisen: „Ich sehe, es macht Dir zwar Spaß den Hang so runter zu fahren, und wir knirschen dabei mit den Zähnen, aber so, wie Du das machst, so ist das nicht in Ordnung.“ Und sie konnten auf gewalzter Piste ihre Meinung auch erklären. Ihre Vorgaben, wie die Außenskibelastung, die Hoch-Tief-Bewegung, der Abdruck vom Talski im richtigen Moment etc., auf die wir Freestyler schon längere Zeit keinen Bock hatten, existieren seit der Einführung der Carving-Ski nicht mehr. Na so was.
In den Buckeln wird niemand überredet. Niemand wird angepflaumt. Keiner versucht einen Teilnehmer von der eigenen Vorgehensweise zu überzeugen. Manche lassen sogar Fragen nach den eigenen Methoden unbeantwortet. Es passiert mitunter, dass enthusiasmierte Laien (= begeisterte Leute) auf die Frage, was sie denn falsch machen, von den Könnern kein Wort als Antwort erhalten. Der sehr gute Buckelpistenfahrer rammt einen Keil zwischen das, was MAN im Leben so treibt, und seinem eigenen Ansatz. Die Leute sehen einen flügge gewordenen Hund nicht mehr als normalen Mitbürger an. Er wird zu einem Dinosaurier aus alten Tagen. Aus Tagen, die schon längst vorbei sind und – wer weis das schon – vielleicht einst mal wieder kommen werden.
Warum ich das sage? Nun, man hat nicht den Eindruck, dass ein so schöner Sport eine Neuerfindung sein kann. Aber das ist ein eigenes Thema.
Das Schweigen hat seinen Grund: Jeder merkt in den Hügeln, wenn es nicht gut läuft – im Gegensatz zur flachen Piste. Wenn Du auf flacher Piste hängst und stolperst, merkst Du es nicht, denn du kommst auch „verklemmt“ und mit unlogischen Bewegungen den Hang runter. In der Buckelpiste herrscht Klarheit. Hier muss nicht drüber gesprochen werden.
Die Klarheit tritt so offen zu Tage, dass zu einer Idee von Abzeichen oder schwarze Gürteln nur erheitert geantwortet werden kann.