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Erste Begegnung
Kükenreport aus dem Jahre 1975.
Was trieb ein Küken wie Frank damals im Hühnerstall? Noch nicht viel sinnvolles jedenfalls. Statt mittelalterliches Skilatein zu üben, wie verlangt – also so einen „Stemmbogen“ zu machen, einen Hochschwung zu fahren und wie das Zeug hieß etc. – konnte man ganz andere Dinge tun. Zum Beispiel gab es einen Fuzzi-Schwung. Fuzzy Garhammer war ein Name, den Kinder damals nicht unbekannt war. Dieser Mann erfand einen Schwung, der heute noch unter dem Synonym „Klammerschwung“ ein Begriff ist. Man geht in die Hocke und bleibt den ganzen Schwung über unten.
Manchmal ließ sich Frank auf der Piste den Boden fallen und machte anschließend einen Purzelbaum. Das konnte man von jungen Skilehrer lernen, fall diese auch noch Flausen im Kopf hatten. Kleine Jungs springen gerne über Hindernisse. Schneewächten können einfache Sprungschanzen sein und die Grätsche ein erster praktischer Trick. Na ja fast, man muss vielleicht noch lernen, dass bei der Landung die Beine wieder geschlossen sein sollten. Das muss man wirklich ein paar Mal üben, bis man es hin bekommt. Kinder balancieren auf einem Ski und nehmen dabei manchmal ohne Grund das hintere Bein nach oben, wie eine Ballerina. Auf einer Piste rum stehen, einem rot angezogenen Erwachsenen zuhören – damals trugen die Skilehrer ausschließlich rotes Zeug (bald jedoch wurde die Farbe ‚Rot‘ als unmodisch erkannt und abgeschafft) – und komplizierte Übungen auszuführen, das war langweilig, eine Verschwendung von Zeit, fanden viele Kinder, damals.
Und Buckelpistenfahrer? Buckelpistenfahrer spielten keine Rolle. Bis dann jemand zustach, und zwar im Dezember auf 2000 Metern Höhe – und danach war alles besser.
Folgendermaßen: Frank saß in einem Sessellift. Es war zunächst ein normaler Sessellift, aber dennoch: Er befand sich neben dem Nova-Hang in Gaschurn in der Silvretta Nova. Frank blickte unkonzentriert auf eine Gruppe von etwa 5 Männern. Heute würde man sie als junge Vollidioten bezeichnen, ohne einen Rest von Verstand im Schädel, mit hundsmiserablen Zukunftsperspektiven – für Frank gehörten sie aber nicht mehr zur Gruppe der Kinder und Heranwachsenden, waren also Männer für ihn. Die Typen standen am Hang herum. Der Sessel transportierte Frank herauf und an ihnen vorbei. Die Typen standen da, wie unbewegliche Marmorfiguren und rührten sich nicht. Sie steckten in Overalls. Das lag wahrscheinlich daran, dass Overallbekleidung damals aktuell war. Die Typen hatten Skibrillen mit Gummibändern an. Auch die trug damals fast jeder, obwohl sie modern waren. Niemand vermutete, dass sie etwas vor hatten.
Bis einer seine Fahrt begann. Wobei „Fahren“ vielleicht noch nicht der richtige Ausdruck ist: Der Hund hob ab – er dopste über die Piste, wie ein flacher, rotierender Stein über das Wasser springt. Sein Stehen und sein Fahren hatten wenig miteinander zu tun. Dort, wo alle Skifahrer irgendwie losrutschten, um ja die Kontrolle nicht zu verlieren, machte der Typ erst mal gerade aus.
Aha. Schuss in der Buckelpiste.
Er wurde schnell und Frank schaute ihn an, ohne jeglichen Gesichtsausdruck. Die Schussfahrt ging über etwa dreißig Meter. Die Vorgehensweise bestand nicht darin, die Täler zwischen den Buckeln mittels Federung auszugleichen. Nein, er hüpfte von Spitze zu Spitze. Die Beine blieben dabei geschlossen, er ließ keinen Spalt zwischen den Knien zu. Hm. Na sowas.
Dann kam ein Sprung. Der Typ machte einen „Twister“. Heute weiß man bis in das kleinste Dorf in Schleswig-Holstein, wie dieser Sprung genannt wird, man hat ihn ja schon so oft gesehen – aber damals kannte Frank derartiges nicht. Und der Sprung wurde durchaus sauber durchgeführt – ein fahrendes Uhrwerk hätte nicht präziser sein können. Der Typ sprang den Twister eine handbreit über dem Boden. Jeder Skifahrer wäre elendig verreckt und hätte sich den Körper verletzt bei einem unglaublichen Sturz. Aber der Stein, der da hüpfte, blieb nicht hängen.
Den Ritt beendete der Typ nicht anders, als er ihn begonnen hatte: ohne sichtbare Zweifel. Das wars. Jedenfalls für ihn. Die Zuschauer erwarteten nun, dass er seine Arme hoch werfen würde, um diesem Triumph, dem Trommeln auf den Buckeln irgendwas folgen zu lassen. Nö – er stand unten, regte sich nicht und fertig. Frank drehte sich wieder nach vorne. Sowas gab es doch nicht. So eine Sache. Eigentlich gar nicht so schlecht. Man hörte irgendwelche komischen Geräusche vom Pistenrand und vom Sessellift.
Der Rodeotyp schwieg. Er schwieg nach seiner Fahrt – oder wie wir neudeutsch sagen: er blieb cool. Die Zuschauer waren ihm nicht wichtig. Mittlerweile schrien einige sogar verzweifelt herum. Das Echo prallte von ihm ab – denn Frank war nicht der Einzige gewesen, der ihm zugeschaut hatte und nun Geräusche machte. Der Typ hatte sie alle flach gelegt. Später sah man solche Fahrten noch häufiger, denn die anderen fuhren dem ersten Taktgeber hinterher. So ging es dann tagelang weiter. Richtig gewöhnen konnte man sich nicht daran.
Gesund sahen die Schläge, die der Typ da aufgesammelt hatte, nicht aus. Aber anscheinend kümmerten den Typen solche Gedanken nicht. Im Verhältnis zu ihm waren alle bescheiden. Ach was, sie konnten noch nicht einmal mit dem beginnen, was der da flüssig demonstriert hatte.
Eine vergleichbare Aktion hatte Frank schon mal erlebt, und zwar beim Tennis. Im Fernsehen gab es damals einen gewissen Björn Borg zu sehen. Er war ein Tennisspieler schwedischer Nation. Der Schwede fiel dadurch auf, dass er immer gefasst blieb. Er schaute in jeder Situation, egal wie praktikabel oder ungünstig sie für ihn war, gleich drein. Ein Zuschauer konnte an seinem Gesichtsausdruck nicht ausmachen, ob er gerade einen guten Lauf hatte oder einen Ballwechsel vor der Niederlage stand. Mit seinem Stirnband hatte Björn Borg das Äußere eines Indianers. An diese Fernsehübertragungen von englischem Rasen dachte Frank dann, als der Typ so stoisch seine Fahrt beendet hatte.
Es gab für Frank zwei Arten von Herangehensweisen: Es gab diejenigen, die mitmachten und diejenigen, die nicht mitmachen wollten. Erstere suchten ihren Erfolg in der Realität – wie beschränkt er auch sei, dem Motto gemäß, nutze bitteschön alles, was Du kannst, es gibt sowieso keine Alternativen. Die anderen zogen sich zurück. Beide Gruppen hatten ihre Namen: Die „Cowboys“ und die „Indianer“. Die Cowboys strömten vorletztes Jahrhundert aus Europa auf den nordamerikanischen Kontinent und nahmen die Verlockungen des „niederen“ Lebens an und nutzten alle ihnen zugänglichen Möglichkeiten: Dem Geld hinterher rennen, es verprassen, grob zueinander sein, sich einen Dreck scheren um alles, etc.. Die Indianer verstanden das nicht. Sie positionierten sich außerhalb dieses – für sie unzivilisierten – Treibens. Sie wollten nichts mit den importierten Verhaltensweisen zu tun haben. Der Ritt auf der Buckelpiste war ein Kontrast zu dem, was „man“ üblicherweise so tat. Buckelpiste war anders. Der Hund hatte ein Ausrufezeichen gesetzt und er stand damit in der indianischen Tradition. Und Frank fand das ok. Man konnte also auch in Europa indianisch sein. Kann man das ungefähr nachvollziehen?
Habt Ihr mal die Sinfonie „von der neuen Welt“ von Antonin Dvorak gehört? Aber bitte von einem ordentlichen Dirigenten eingespielt? Ich bin mir vielleicht nicht ganz sicher, aber ich habe so die Vermutung, dass die Europäer da nicht allzu positiv wegkommen. Außerdem hat Dvorak Amerika nahezu fluchtartig verlassen, als er fertig war mit seiner Sinfonie. Alles Zufälle? War Dvorak ein Gummihund? Und was hat Alma Mahler damit zu tun? Hä? Egal.
Seit damals ist das Buckelpistenfahren für Frank und unsere Gruppe jedenfalls ein interessantes Thema geworden. Ein Kind will 20 Jahre alt werden, um sich zu amüsieren. Aber es will nicht die Altersgrenze von 35 Jahren überschreiten, weil dann vielleicht Knochen, Sehnen und Muskeln die Rechnung für eine coole Zeit zahlen müssen. Bis uns dann, Jahre später, von dem gleichen, gar nicht mal betagten Gummihund, erneut die Rahmenbedingungen verrückt wurden. Kann man, wenn man einigermaßen vorsichtig ist, auch mit 60 Jahren noch beschleunigt durch das Gelände fahren? Diese Frage wird langsam aktuell für den Autor dieses Blogs und seine Gruppe.
Jaja, sie sollte nicht mehr aktuell sein. Es liegen noch Aufgaben der altersgerechten Verhaltensanpassung vor uns.