Gummihund
Ich erkläre nun, warum diese Internetseite „Gummihund“ heißt. Ihr befindet Euch auf der Seite buckelpistenfahren.de – eine Webseite, welche eine Verknüpfung zu dem Begriff „Gummihund“ besitzt. Ihr erfahrt nun, was es damit auf sich hat. Die Interpretation, die wir hier vorstellen, hat also etwas mit dem Skifahren zu tun.
Die erste Idee, der Anstoß kam von außen. Der Funke zündete nicht in den Bergen, also nicht in den Alpen im österreichischen Montafon oder in Lac de Tignes in Frankreich oder bei einer Abfahrt in Obertauern – nein. Er zündete in Tschechien, meinem Geburtsland. Der Name „Gummihund“ entstand weitab jeglicher Schneeansammlungen – und fast schon in einer anderen Zeit. Die Situation ereignete sich um das Jahr 2000 herum bei einem Gespräch mit einem älteren Herrn, einem tschechischen Freund meines Vaters, der Vojta genannt wurde – ein übrigens durchaus typischer Name, so wie mein Name auch. Jeder zehnte Tscheche heißt Vojta oder Pavel. Nur so als Info, die keiner haben will.
Vojta war damals etwa 65 Jahre alt. Er ist aus Gründen, die mir unbekannt waren, nicht mehr aktiv Ski gefahren. Auf den Pisten gesehen habe ich ihn nicht, aber den Gerüchten nach konnte er als junger Mensch ganz brauchbar Ski fahren. Er hat mehrere Sportarten gemacht: Leichtathletik, Hochsprung, Tennis und Kajakfahren – was man eben so machen konnte in einem Land, das von innen her verschlossen war. Sozialismus nach russischer Prägung halt, wie er vor 1990 noch nicht abgeschafft war.
Also quatschten wir ein wenig und ich berichtete ihm ein paar ganz, oder relativ normale Sachen im Bezug aufs Buckelpistenfahren – ihr wisst ja vielleicht Bescheid – und erzählte, dass ich so eine Art von Internetseite zu dem Thema starten wollte. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich das Projekt machen wollte – möglicherweise ja, vielleicht auch nicht. Vojta ließ mir ein paar Minuten Zeit und beobachtete mich. Ich strengte mich richtig an bei meinem Lieblingsthema. Er reagierte überhaupt nicht auf die Ausführungen, die ich in seine Richtung losballerte – was schon seltsam war, bei der sich steigernden Wucht meiner Geschichten. Als ich dann dachte, dass da nichts mehr kommen würde, passierte das Ereignis, was mich zunächst völlig überrumpelte – Vojta gab unvermittelt und laut das Wort von sich, um das es hier geht: „Gummihund“ – also das deutsche Wort, nicht die tschechischen Übersetzung. Ich hielt an und machte eine Pause. Ich fragte, was er meinte und er wiederholte nochmals fröhlich und mit herumfuchtelnden Armen seine Kreation: „No Jeschisch Maria, wir kennen das doch, was du meinst. Wir nennen das ‚Gummihund‘.“ Er ist richtig euphorisch geworden. Wenn ein Tscheche „Jeschisch Maria“ sagt und mit den Armen fuchtelt, dann sollte er sich erst mal wieder beruhigen, bevor es weiter geht.
Ein Hund aus Gummi? Was sollte das denn sein?
Obwohl, wenn man es dann genauer betrachtet, dieses Konstrukt macht durchaus Sinn. Das war ja mal interessant. Wir haben dann noch über alles Mögliche gequatscht, über Dinge, an die ich mich heute nicht mehr erinnere. Auf jeden Fall habe ich die Eingangstür zu seinem Haus zufriedener zugezogen, als ich sie aufgemacht hatte. Vojta hatte also geantwortet und seinen Senf abgegeben, so war er halt. Ich schaute am Mobilfunkgerät nach – noch niemand hatte den Begriff „Gummihund“ öffentlich erwähnt geschweige denn als Webseite registriert. Dieses Wort könnte nützlich sein, auf lange Frist, wenn sich einige Leute dran gewöhnt haben – überlegte ich auf dem Nachhauseweg. Ich blieb stehen und ging dann weiter. Wer hätte das gedacht. Manchmal lohnt es sich, mit den Leuten zu reden. Buckelpistenfahren könnte “Gummihund” heißen, wenn ich den Vorschlag übernehmen würde, das so einzurichten. Ich sprang ein paar mal auf dem linken Bein und balancierte auf einer Mauer – es hat mich aber nicht umgeworfen. In diesem Alter warfen mich solche Albernheiten noch nicht zu Boden. Nun wurde tatsächlich der Plan logisch und realisierbar, ein Kompendium zu machen – man kann ja alle Themen um diese Worthülse herum bauen. Eine weitere Frage kam dann ein paar Sekunden später, bei den nächsten Schritten: Die Nachverfolgung der nun entdeckten Lücke, die Frage, wo dieser Name geblieben ist – weil ich ihn, und ich habe ein großes Hörvermögen in diesem Bereich – noch nie gehört hatte.
Ganz verschwunden ist sie nicht, die Kombination zwischen Hunden und Skiakrobaten. Der Vergleich lebte weiter, und zwar als „Hot Dogging“. Die Sportler in den USA nannten sich „Hot-Dogger“, also „heiße“ Hunde. Ein Hot-Dogger zu sein bedeutete, dass man die Buckelpiste möglichst in der Falllinie nahm. Der Oberkörper sollte ruhig bleiben, nur die Gliedmaßen unterhalb der Gürtellinie sollten Bewegungen ausführen und die ankommenden Buckel ausgleichen. Damit hatten die US-Amerikaner zum ersten Mal beschrieben, was wir tun – oder wenigstens zu tun versuchen. Ich hatte mich schon häufig gefragt, was ein Fast-Food-Gericht mit Buckelpistenfahren zu tun hat, anscheinend nicht viel. Vielleicht ist der Name durch die deutsche Sprache durchgesickert und dann angepasst worden. Dies ist in der Tat ein wissenschaftlicher Durchbruch für die akademische Buckelpistenforschung! Wir können auch sagen, dass diese Information nicht viele Menschen interessiert auf diesem Planeten. Die Bezeichnung „Hot-Dogger“ gehörte jedenfalls ein paar Jahre lang zum Standardvokabular vor und hinter dem Nordatlantik.
Auf das „Gummi“ im Namen muss ich nicht näher eingehen – oder doch? Nehmt etwa die Stoßdämpfer von Mountainbikes: Die sind elastisch. Wir titulieren einen Menschen als „Hund“, wenn er eine Tätigkeit rücksichtslos verfolgt und auch eine innere Veranlagung dafür besitzt – z.B. als „schlauen Hund“ oder „schnellen Hund“. Hund nennt sich, wem außer dem, was er gerade macht, alles andere egal ist. In vergleichbarer Weise funktioniert das Buckelpistenfahren. Wir machen die Eckwerte des Skifahrens platt, sie werden uns schnuppe. Dabei werden auch Sachen vernachlässigt, um die wir uns vernünftigerweise kümmern sollten.
Seit dem Herbst 2016 besitze ich die Internetpräsenz www.buckelpistenfahren.de. Wie ich dazu gekommen bin, weis ich nicht. Sie war plötzlich frei. Möglicherweise hatte sie zuvor jemand besessen, der sich sein Knie verdreht oder das Genick gebrochen hat oder schlimmeres und der dann keine Lust mehr hatte. Vielleicht ist auch der Geist von Rudi Dutschke der Verursacher für den Inhaberwechsel, denn dieser Geist steckt ja bekanntlich hinter allem. Ich weiß es nicht. Die österreichische Seite buckelpistenfahren.at war im Januar 2018 auch noch frei und zu haben, aber ich habe die Gelegenheit zu Übernahme nicht genutzt, die kann sich jemand anders holen. Ihr habt doch den Namen „Rudi Dutschke“ schon mal gehört, oder etwa nicht?
Gedanken zu Gummihund
Anfänger können Buckelpisten nicht leiden. Buckelpisten stellen Leidensprüfungen dar und die Abfahrten darin erzeugen Notsituationen, die möglichst vermieden werden sollten – und das ist unsere Chance.
Denn Gummihunde sehen das – sprechen wir mal in der dritten Person über sie, weil es welche gibt, die viel besser fahren als ich – anders. Sie freuen sich – und böse Zungen sagen: gehässig und schadenfroh – über jede Gelegenheit, ihr Können zu demonstrieren. Sie vollbringen erstaunliche Dinge, und können für 10, 20 oder 30 Sekunden die Gesetze der Körpermechanik außer Kraft setzen.
Buckelpistenfahren ist ein Sport, der die Möglichkeiten des menschlichen Körpers ausschöpft. Ein Individuum kann in vielen Richtungen und unterschiedlichen Formen Sport betreiben, aber in der Buckelpiste ist das Können klar zu sehen. Das Hot-Doggen spielt sich in Bereichen ab, zu denen die normale Skifahrer, wenn sie ehrlich sind, nicht allzu viele Berührungspunkte hat.
Wir sollten jedoch nicht hineinstecken, was nicht hineingehört. Buckelpistenfahren ist eine Sportart und keine Kunstform. Mit Tätigkeiten im kreativen Bereich können wir die Welt umfangreicher erschließen. Künstlerisch können wir die ganze Spanne unseres Daseins abbilden und dabei auch – wenn wir möchten – die leisen Nuancen. Aber Buckelpistenfahren ist nun ganz und gar nicht leise.
Buckelpistenfahrer haben Aggressionen, die sich keiner erklären kann und können einem ganz schön auf die Nerven gehen. Bei ihnen heißt es: „jetzt aber los“, „lasst uns mal den Hang hinunter jagen“. Sanfte Regungen fehlen meist. Die Fahrer dreschen den Hang hinunter und stoßen wie Irre in die Welt hinein. Mehr nicht und weniger nicht. Die Sachen, die in der Buckelpiste geschehen, können woanders verarbeitet werden – zum Beispiel in Büchern, in Abbildungen oder auf Internetblogs. Dass wir solche Sachen noch nicht so häufig sehen, liegt vielleicht daran, dass der Sport auch noch nicht lange betrieben wird – oder daran, dass die entsprechenden Typen vor lauter Sportaktivitäten und Krafttraining keine Zeit zum Textschreiben haben und manch einer wartet schon auf das erste Filmchen zum Thema Freestyle.
Hotdogger gehen einem Sport nach, bei dem keiner zu Schaden kommt. Sie üben zwar Körpergewalt aus und bauen das hauseigene Testosteron ab, aber sie verletzen niemanden. Sie haben keine Gegner und besiegen niemanden. Auch Frauen können übrigens dieses Hormon besitzen und abbauen. Wobei Buckelpistenfahrer die Leute auf eine andere, besondere Art vermöbeln: Indem sie es ihnen „zeigen“.
Buckelpistenfahrer gehen ans Limit. Alle Möglichkeiten werden gnadenlos ausgeschöpft. Die Akrobaten beherrschen ihre Körper und agieren in Bereichen, in die man eigentlich nur langsam eintreten kann, wenn überhaupt.
Manchmal passiert folgende Situation: Einigen Typen kommt es gerade nach ihren flüssigsten Fahrten vor, als stünden sie erst am Anfang ihrer Entwicklung und wollten endlich mal loslegen, etwas zur Sache beizutragen. Nach ordentlichen Fahrten stellen sich Momente ein – wo die Akteure zurück auf den Hang schauen und durchatmen. Diese Augenblicken bleiben in Erinnerung, so lange, wie die Erinnerungsfähigkeit vorhanden ist. Ganz überblicke ich das nicht, aber ich vermuten mal.
Ein zusätzliches, nicht notwendiges Additiv sind die Reaktionen der Umherstehenden. Den Hang verdreschen macht doppelten Spaß, wenn du von diesen Kommentaren hörst oder mit schmaler Lippe eigene Kommentare abgeben musst.
Jede saftige Fahrt ist verbunden mit einem Abschied. Sportler spüren in jungen Jahren einen fast schon nahenden Kollaps, wenn sie merken, dass sich da etwas verändert in ihrem Körper. Sie stellen fest, dass sie ihre liebsten Kräfte im frühen Erwachsenenalter hergeben müssen. Diesen Verlust an Kraft und Ausdauer können sie nur kompensieren, indem sie lernen, vorsichtig und kräfte sparend zu fahren.
So richtig aus der Bahn schlägt es uns, wenn wir einen Opa jenseits der 40 erspähen, der über die Buckel zuckelt, uns langsame Rotationen in der Luft zeigt und dabei seine langen Haare in die Kurven schmeißt.
Skifahren funktioniert fast wie Schwertkampf. Ein bisschen angepasst natürlich: Die Stahlkanten der Skier entsprechen den Klingen von Schwertern. Die Klingen sind an den Beinen anmontiert. Wenn Sportler auf planem Gelände „carven“, schneiden sie an der Kante entlang in den präparierten Schnee, der wie ein Stofflaken unter ihnen liegt. In den Buckeln führen sie einen schnellen Kampf und fechten mit schnellen Positionswechseln.
Wir hatten mal einen deutschen Dichter, den wir oberhalb von tausend Höhenmetern „Hannes–Wolfi“ nennen würden, und der tatsächlich ein ganzes Theaterstück nur um das Thema herum geschrieben hat, dass seine männliche Hauptfigur nichts finden konnte, kein Erlebnis, das ihm wert sei, erlebt zu werden. Man glaubt es kaum. Wir Buckelpistenfahrer haben dieses Problem aber sowas von vernichtet. Damit endet auch schon unser Interesse an Hannes-Wolfi.
Hier fülle ich eine Internetseite mit Inhalt und ich berichte Euch, was ich weiß oder zu wissen glaube. Irrtümer von meiner Seite sind natürlich nicht ausgeschlossen. Einige Akteure schweigen komplett und erklären niemandem, was sie da tun. Das ist zu akzeptieren. Wer nach getaner Vorstellung mit keinem redet – und das kommt vor, glaubt es mir – der behandelt alle Zeugen des Spektakels gleich. Kein Interessierter kommt zu kurz. Wenn ein Hund hemmungslos fährt, ist sein Können ein Besitz, den er keinem anderen weggenommen hat. Die anderen Zuschauer stöhnen zwar, wenn die besten Hunde unterwegs sind, aber die Präsentationen verkleinern das Können von niemandem. Nur das relative Können schwindet, der eigene Standpunkt wird schwach – im Bezug zu den gerade demonstrierten Möglichkeiten. Möglichkeiten eröffnen sich, die alles Bisherige erweitern oder – noch besser – auf den Kopf stellen.
Ihr seht wohl: Wenn ihr bereit seid zu trainieren, und zwar intensiv zu trainieren – und wer sollte das nicht sein, der einmal einen echten Gummihund gesehen hat – dann könnt Ihr ein Abenteuer erleben.
Das Abenteuer heißt Buckelpistenfahren und ist auch nicht viel schlechter als rückwärts wieder vom Mount Everest runter zu fallen.