Nichts mehr los

Montafon 2003

Auf ein Neues: Anno des Jahres 2003 fuhr ich mit einem Arbeitskollegen, einem Snowboarder, ins Montafon. Es war Februar. Wir bezogen die Unterkunft an einem Freitagabend.

Wir waren im richtigen Moment gekommen, denn es war tatsächlich so, dass Schnee vorhanden war. Ein Zuckerhut-Winter war ausgeliefert worden, unverschämte Schneemassen bis ins Tal hinein. Wir saßen im Wagen auf dem Weg ins Skigebiet, sahen Nadelholzbäume, die sich tapfer unter den Gewichten beugten, schauten nach link und rechts und bemerkten kühl: „Boa, ist das kitschig“.  Man konnte nicht in Abrede stellen, dass die Zutaten zum Skispektakel vorhanden waren, wenn – naja – hört bitte weiter zu.

Am nächsten Morgen ging es dann doch wieder etwas spät in Richtung Gondel, etwa gegen 9:00 Uhr. Der unnötige Kampf mit dem inneren Schweinehund musste erst mal durchstanden werden. Irgendwann schmerzt aber auch die Hand vom Hämmern auf den Wecker. Los geht’s. Ein Skiurlaub ist teuer genug bezahlt. Ich hob die müde Betonplatte in meinem Inneren hoch und stieg in die Klamotten.

Parkplatz gesucht, gefunden und Schuhe gewechselt. Wir zogen unsere geräumigen Skistiefel an und schwebten dann leicht und elegant, ab und zu ein paar Luftsprüngen machend, zur Seilbahn von St. Gallenkirch – dem Dorf neben Gaschurn – und verfügten uns in die rüstigen Gondeln. Alles war noch da – auch an der Bergstation war nichts verändert nach all diesen Wintern. Der Schnee knirschte immer noch unter den Füßen, das fühlte sich tatsächlich noch identisch an, wer hätte das gedacht. Hatten wir – wie das manchmal passiert – Sorgen vor Löchern in den Gleitflächen oder zerstörten Stahlkanten? Nein, nicht an diesem vielversprechenden Tag.

Alles war vorbereitet: Buckelpisten wie in Ursprungszeiten. Wenn man merkt, dass die Muskeln noch in der Lage sind, elektrisierende Meldungen abzugeben, dann wird man tiefenentspannt. Ich tat einen Blick zur Seite: Auch die Muskeln meines Kumpels, des Snowboardfahrers meldeten sich, wenn man ihn so ansah. Irgendwelche Leute mussten diese Buckel schließlich ausgefahren haben, denn die dort vorhanden Ausformungen des Schnees waren sicher  nicht von alleine entstanden. Wir hatten Samstag und da krochen den Erfahrungen nach – welche ich Euch komplett (und leider doch nur in brüchigen Worten angesichts der Dimension der Vorfälle) in der letzten Folge dokumentiert habe – also da krochen die Buckelpistenindianer verlässlicher aus ihren Löchern, als an Arbeitstagen. Dies war eine logische Schlussfolgerung und es gab keinen Anlass zu behaupten, dass ein vernünftiger Mensch sie nicht wiederholen sollte.

Unser Endziel, der Nova-Hang, lag in Wurfnähe. Wir sahen die gleichen Liftanlagen: Schlepper links und ein Sessellift rechts neben dran. Würde man verfolgen können, wie sich die Sache auf der Piste entwickeln würde? Könnten wir Kontakte knüpfen zur Peripherie, die sich um die Typen herum bildet, die darüber nachgedacht haben, wie der menschliche Bewegungsapparat eine Buckelpiste herunter fahren kann? Wenn das mit der Kommunikation nicht klappen würde – was schon mal passiert – dann bekämen wir wenigstens was zu sehen. Nun standen wir da und setzten in Vertrauen auf das, was kommen würde, eine entspannte und erfreute Miene auf.

Und?

Tsja, also, eigentlich, naja…

Wir hörten auf mit dem glücklichen Daherkucken, denn es gab keinen greifbaren Grund für diese Freude. Wir waren doch nicht dort angekommen, wo wir hin wollten, denn nichts war zu sehen zu finden, kein einziger Fahrer war da. Weder am Nova-Hang war einer zu sehen, noch woanders.

Äh, …

Wir haben nach und nach alle Hänge überprüft. Kein Einziger unter schätzungsweise 10.000 Winterurlaubern beherrschte auch nur teilweise die Technik der ausgleichenden Federung – oder ward aus der Ferne von jemandem dabei gesehen worden. Die Buckelpisten des ganzen Gebiets waren menschenleer – entvölkert, wie die Marsoberfläche. Diese Sorte Sport existierte anscheinend nicht mehr, war aus der öffentlichen Wahrnehmung chirurgisch sauber entfernt worden – und das im einstigen Nomadenlager der deutschen Buckelindianer.

Ratlosigkeit in mir. Mein Kollege war sichtlich nervös, gab mir einen fürchterlichen Tritt, sagte, dass ich einem Gespenst nachgejagt hatte, welches offensichtlich nicht existierte. Auch er war angekratzt, denn er interessierte sich doch im Laufe der Vorbereitungen an meiner Vision vom Nomadenlager. Ja, wo sollen die Indianer denn hin sein, giftete ich ganz neutral zurück, wenn sogar die Silvretta Nova leer ist?

Schlecht gelaunt haben wir uns in den Pausen umgesehen – und ich habe mit zielsicheren Blicken einige Jungs und Mädels aussortiert: Ich hätte schwören können, dass die gewisse Fähigkeit besaßen. Nicht nur, dass diese Typen sich mit brauchbaren Material versorgt hatten, was an sich schon an sich etwas aussagt – sie machten mir tatsächlich den Anschein, als könnten sie mit gehobenen Herausforderungen auf Skiern umgehen. Man sah es an der Art, wie sie die Ski anzogen und die ersten Stockeinsätze machten. Skifahrer sollte es im Einzugsgebiet von München doch in ausreichender Menge geben. Aber nicht mal ein kleiner Versuch wurde gewagt, um meinen Glauben zu stützen.

Respektlos, konnte ich da nur sagen. Es war der vorläufige Schluss einer Geschichte, die auch anders hätte ablaufen können. In dieser Woche war es uns also nicht erlaubt, echte Buckelpistenfahrer aus Fleisch und Blut zu sehen.

Schwarzjacken

Irgend so ein Typ meinte mal in Les Arcs in Frankreich zu mir, er vermisse die sogenannten „Schwarzjacken“, die doch bekanntlich überall zu finden seien.

So ein Schwachsinn. Schwarzjacken, wo die doch überall zu finden seien. Leute gibt es und Ideen haben die.