Neulich, an der Lifttrasse.

Über Japan finden die ergiebigsten Schneefälle überhaupt statt. Das Land liegt zwischen den Landmassen von Russisch-Sibirien und dem Pazifik, einem Meer, über dem ständig feuchte Luft nach oben steigt. Wenn sich Nässe und Kälte vermischen, dann entstehen große  Schneemengen. So fallen mitunter 5 bis 7 Meter Schnee pro Nacht und das reicht dann für ein paar gute Abfahrten. Am nächsten Tag regnet es häufig wieder und die japanische Freude ist vorbei.

Nun zu den Alpen:

Jogi, mein Kumpel, war etwas spät dran, was ja normalerweise selten geschah – nun, er hatte sein Bett aus irgend einem Grund nicht verlassen, der Abend zuvor war irgendwie überlang gewesen. Geschneit hatte es, als wäre über Japan ein großer Sack mit Popcorn explodiert. Die ganze Nacht hatte es geschneit, ein Tiefschneetraum in der ersten Stunde des Liftbetriebs – und wie das halt so ist, ganz schnell waren die Ersten oben, fahren muss man ja nicht sonderlich können, und die erste Spur ist bekanntlich die schönste. Dann kann man sich noch die zweite Spur und eine dritte Spur suchen, auch nicht schlecht, anschließend vielleicht noch 20 andere Spuren aber dann ist der Platz verbraucht. Einige Skifahrer nutzten den Morgen aber nun war nicht mehr viel übrig. Ok, ein paar Stellen gab es doch noch, irgendwo am Rande, aber die waren nicht leicht zu erreichen.

Außer dieser einen Spur direkt am Schlepplift. Zugegeben, man musste schon relativ nahe an die Trasse heran und das konnte einigen Leuten vielleicht etwas aufdringlich vorkommen, aber es war nicht gefährlich. Keine Buckelpiste an dieser Stelle, sondern ein relativ ebenes Stück Hang. Der Boden war noch glatt von gestern, keine Eisbrocken unter dem Neuschnee vorhanden oder sowas. Aber Jogi fuhr schon sehr nahe am Personenverkehr.

Er tat es dann so, wie er es sich angewöhnt hatte. Jogi hatte eigentlich einen guten Lauf, es war einigermaßen elastisch und immer schön abwechselnd Beuge- und Streckmuskeln belastend, so dass es ausgeglichen war und wie es sich seiner Meinung nach gehörte. Im Schlepplift neben der Piste befanden sich Leute. Der eine Typ, der da gerade hochfuhr, sah nicht unbedingt nett aus, hatte einen roten Anzug, aha, dieser 45 jährige Skilehrer, einer aus der Skischule, der örtlichen. Und Jogi war tatsächlich recht nah, hatte etwa zwei Meter Abstand zu ihm. Jogi fuhr hinunter, er hinauf. Auf jeden Fall fing dieser Typ an zu brüllen, mit einem Nachdruck und einer Energie – Jogi hat nicht verstanden, was er wollte, aber es dauerte bestimmt fünf Atemzüge lang und klang irgendwie entmenschlicht in seinen Ohren. Er brüllte wie ein Mammut.

Aber was denn? Der Herr hätte doch merken sollen, dass es auf dieser Piste Leute gab, die Strecke im Griff hatten. Er hätte doch sehen können, dass da keine wirkliche Gefahr bestand. So eine Idiotie. Jogi hat dann noch drei Schwünge gemacht, die Fahrt abgebrochen und ist zum Auslauf des Hanges hin. Dort unten hat er sich leicht gebeugt, nicht ganz gerade hingestellt.

der Schrei

Es hallte in ihm nach.
Hinter Jogi kam ein Kollege und hielt an. Er sah, das Jogi nicht gut aussah.
Der Kollege fragte Jogi, ob er mitbekommen habe, was da gerade weiter oben geschehen war.
„Ja, der Typ hat sich aufgeregt.“
Der Kollege nahm den Kopf nach unten und schüttelte ihn.
„Nicht ganz,“ sagte er.
„Wie?“
Der Kollege wartete, schaute Jogi an und sagte dann:
„Nein. Er war außer sich vor Begeisterung, er rief, dass er noch nie eine derart flüssige Fahrt gesehen habe, von einer solchen Präzision und Vollkommenheit. Und er hat es wirklich mit Nachdruck gerufen. “

Wie bitte ?! Sorry. Das kann man einem doch auch anders sagen. Jogi ist dann seinem anscheinenden Fan, dem Profi-Skilehrer nicht näher gekommen, denn ihm war die Sache suspekt. So etwas Albernes. Ihn hat nie wieder jemand so angeschrien, glaubt er jedenfalls, er kann sich jedenfalls nicht erinnern.  Warum ich das erzähle?

Wenn da wirklich ein Mensch die Stimme verliert, der außerdem kein Anfänger ist, nur weil Jogi, ein Mitglied unserer Gruppe, ganz normal Ski fährt, dann könnte man doch versuchen herauszufinden, woran das liegen könnte. Damals kam die Überlegung zu einem Buch – oder Blog, denn wir haben ja gesehen, wie man Ski fährt. Ihr fragt Euch wahrscheinlich, welche Begründung ich vorweisen kann, um einen solch tendenziös gefärbten Text anzugehen?

Nun. Wir waren zunächst respektabel ausgebildeter Übungsleiter. Damals gab es mehrere Karrierestufen.  Zunächst kam die Lehre zum Übungsleiter Grundstufe, dann Oberstufe und dann ergab sich manchmal die Möglichkeit, einen Trainer B im alpinen Rennbereich drauf zu setzen. Eine interessante Sache. Jogi hat die Prüfungen gerade so geschafft, aber es war nicht sonderlich berühmt.

Man wurde als braver Hot-Dogger aber auch kritisiert im Skiverband, und zwar aus allen Himmelsrichtungen. Einige warfen ständig mit Messern und Wurfsternen nach Jogi. Wenn er sich an die Tische setzte, stoppte die Unterhaltung und alle glotzten ihn an. Er wusste nicht mehr, wo er sich hindrehen sollte. Von diesen Nörglern fuhr kein einziger Buckelpiste – was dann die Überlegung zur Folge hatte, die alle zu versammeln und in etwa 30 Sekunden aufzuklären.

Er hat die Leute also zu einem Treffpunkt eingeladen, sich hingestellt und gesagt „passt auf Leute, das ist eine Buckelpiste“. Dann ist er los gefahren, hat anschießend hochgekuckt und auf die Reaktionen gewartet.

Einer versuchte dem noch eins drauf zu setzen, indem er die Buckel rückwärts runter fuhr – ob absichtlich oder nicht, hat man nicht erkennen können – möglicherweise war es ein halber Helikopter oder die Folge eines Helikopters, der zu früh abgebrochen worden war. Ein anderer machte ungefähr das Gleiche wie Jogi, aber nur auf einer Strecke von drei Buckeln, dann kam ihm blitzartig der Gedanke, dass Recoveries (also Beinahe-Stürze, Purzelbäume, Trickski-Einlagen) in früheren Zeiten viel höher bewertet wurden als langweilige, glatte Fahrten, so dass er sich entschloss auf einem Ski weiter zu machen, was wiederum von dem Gedanken abgelöst wurde, dass wenn unter den Schuhen irgendwie gar keine Ski mehr verfügbar sind, man doch mit einem präzisen Sprung in die Mitte des Buckels den Buckel aufsprengen kann, so dass dieser in Stücke fällt. Also sprang er mit den Füßen in den nächsten Buckel hinein und versuchte ihn aufzusprengen. Erfolglos. Der Buckel verformte sich nicht merkbar. Nach dieser Vorbereitung ließ er die Glieder seines Körpers entspannt hängen und glitt vorsichtig in einen Stillstand hinein. Er war zufrieden, suchte sich eine bequeme Position und streckte sich aus – um über Dinge nachzudenken, die er nicht definieren konnte. Er wusste es nicht genau und auch in den folgenden Stunden ist ihm keine Langeweile gekommen.

Die anderen waren ruhig und redeten nicht.

Jogi’s Laune war ganz ok.