Der Druckpunkt
Wenn Ihr bis vor kurzem noch nicht einmal wusstet, was Buckelpistenfahren ist, dann ist dieses Kapitel wahrscheinlich nichts für Euch. Wenn Ihr Euch für das Thema Skitechnik nicht interessiert, dann könnt Ihr die Ausführungen überspringen, sie werden Euch wahrscheinlich auch nicht weiter bringen.
Eine Technik wird durch die Lande getragen
Wenn ein neuer Stil durch die Lande getragen wird, so kommt er in der Regel vom alpinen Rennlauf, hat sich dort entwickelt und durchgesetzt. Logisch, so ist das, aber ich habe noch nie gehört, dass wir Buckelpistenfahrer auch ein wenig Ski fahren können und dass da etwas durchsickern könnte in Richtung Allgemeinheit. Da haben wir also eine Lücke, die wir füllen können – wenn wir einen entsprechenden Impuls verspüren, den habe ich natürlich, sonst gäbe ich dieses ganze Kompendium nicht. Dann machen wir einfach mal weiter.
Alte Skibücher
Das mit der Skitechnik ist immer gleich und doch irgendwie anders. Gäbe es heute nur die eine einzige, durchdachte Fahrmethode, dann wäre das schade, denn uns fehlte etwas: Die historische Vielfalt an Möglichkeiten. Dennoch gibt es ein Konzentrat, das gefunden werden will, eine letztendliche Skitechnik, ein Gral der Erkenntnis sozusagen.
Wenn Ihr ein altes Ski-Buch findet, und in der Hand hält, braucht Ihr es nicht wegwerfen, sondern könnt es bei Lust und Laune an mich senden. Es muss auch nicht in deutscher Sprache verfasst sein. Ich interessiere mich für diese alten Bücher. Ich untersuche die Texte, vergleiche und suche nach Fehlschlüssen. So bekommt man ein Gefühl dafür, dass manchmal heute noch der Unsinn erzählt wird, der in den Anfängen des Skifahrens erzählt wurde, nur eben in anderer Verpackung.
Und ich meine, dass ein paar Sachen aus den vergangenen Zeiten, die mal als sinnvoll erkannt wurden, nicht verloren gegangen sind und bei Gelegenheit reaktiviert werden können.
Ein Satz, der in Erinnerung blieb
Am Start eines Slalomlaufes hat mein Trainer im Jahr 1987 zu mir gesagt: „Wir fahren jetzt Slalom. Also folgendes: Du machst einen kurzen und knackigen Kanteneinsatz, kapiert?“
Natürlich. Aber klar. Wenn der Trainer einen entschlossenen Gesichtsausdruck macht, dann sollte man seine Präferenzen neu ausrichten, sonst kann man Ärger bekommen. In der Regel sollte man sich ja auf Traineraussagen verlassen, davon kann man ausgehen. Das kann man festhalten. Wenn man sich das so überlegt … oder …
Aber nein: An dieser Stelle war nicht alles klar.
Ein Kantendruck, der kurz und knackig ist wäre der bei genauer Betrachtung vergleichbar mit einem Schlag oder einem Hammerschlag auf den Untergrund – und dabei geht doch sicher Fahrtenergie verloren. Wäre es nicht schlauer, anders vorzugehen? Vielleicht mit einem kontinuierlichen Kanteneinsatz, um dann weicher zu gleiten?
Diese Aufforderung blieb eine Aussage ohne klärenden Abschluss und sowieso: woher nahm der Trainer diese Idee?
Es ist keine schwarz-weiß Malerei. Manchmal kann man einen Bewegungsablauf unterschiedlich zum Ausdruck bringen und trotzdem die gleiche Idee haben. Zum Beispiel ergibt es das Gleiche, wenn Du mit bestimmendem Ton sagst: „Gehe nach vorne in die Knie, Du Dachlatte, sonst öffnet sich ein Riss im Boden und Du fällt für alle Zeiten hinein und ich hole Dich nicht wieder heraus“, oder anders, etwas zuvorkommender: „Mache doch bitte eine Bewegung im Fußgelenk“. Der zweite Satz ist seit kurzem in Gebrauch und ich kann bestätigen, dass er wirkt. Mit dem ersten Ansatz kann man als Skilehrer schon mal scheitern. Man hört: „Tue ich doch, ich bin doch in den Knien…“ – und muss dann sagen: „Ja wirklich? Wo denn bitte?“
Eine einfache Erkenntnis
Der Ski liegt auf dem Boden. Und der Mensch, der auf diesem Ski steht, steht auf der Mitte des Skis. Wenn er vorne oder hinten steht, dann liegt der Ski nicht, sondern verbiegt sich – mehr oder weniger, was aber unnötig ist. Wenn die Ski quer zur Fahrtrichtung stehen, dann rutschen sie seitwärts, anstatt zu kanten. Das macht man, wenn die Sache anfängt unangenehm zu werden und irgend ein Gedanke Alarm schlägt. Den Unterschied zwischen einem geschnittenen und einem gerutschten Schwung kann man an der Spur sehen, die man hinterlässt.
Das Stehen auf der Mitte der Ski bedeutet, dass man in einem steilen Hang dafür sorgt, die Spitzen nach unten zu drücken. Dies läuft der anfänglichen Angst zuwider, der Furcht vor der Tiefe und der Angst vor dem freien Fall. Ein Anfänger möchte bremsen und unternimmt viele Aktionen – vielfach auch unnötige Aktionen – nur zum Zwecke des Bremsens, kommt aber nie auf die simple Idee, die Skispitzen mal ins Tal zu führen und sich dann wohler zu fühlen.
Unnötiger Druck auf die Vorder- oder Hinterseite des Stiefelschaftes sollte also nicht unterrichtet werden. Wir sollen mittig stehen in jeder Phase des Schwunges und der ausgebildete Fahrer hält die Balance.
Taillierung
Heutige Ski sind tailliert. An der Spitze und hinten sind sie breit, in der Mitte etwas enger. Wenn wir die Ski einkanten, also halbseitig auf den Boden legen, machen sie einen Bogen und zwar von alleine. Wenn wir auf der Mitte des Skis stehen, laufen die Bretter schön an dieser Kante entlang – wie auf kleinen, vorgelegten Schienen. Wir kennen keinen Grund, warum die Ski vorne oder hinten belastet werden sollen. Die Mittelposition ist vorzuziehen. oder existieren Ausnahmen?
Gibt man vorne Druck, so erreicht man einen kleineren Schwungradius, aber erzeugen bereits eine Art von Bremsschwung. Manchmal ist das notwendig. Möchten wir jedoch allen unseren Schwüngen einen kleineren Schwungradius geben, dann gehen wir in eine Skifabrik, reden mit den Verantwortlichen und lassen uns andere Ski pressen. Carvingski haben einen natürlichen Schwungradius, also einen Radius, der konstant ist. Und wenn man Carvingski entsprechend ihrer Bestimmung nutzt, kann man immer mittig über der Bindung stehen, in jeder Phase.
Ein Grund für die Aussage des Trainers lag wohl in der damaligen Skikonstruktion. Wenn man einen Bogen fuhr, so stand der Ski nur einen Moment lang in der richtigen Richtung, Ansonsten fuhren diese alten Ski geradeaus – ohne Taillierung.
Das heißt, man musste den richtigen Moment finden, um die Ski in den Schnee zu drücken. Man tat dies, um an Höhe zu gewinnen und die geforderten Wege einzuhalten. Man stemmte dazu den Außenski kurz in den Boden. Dies bezeichnete man als Stemmschritt. Einen vergleichbaren Schritt machen Hochspringer, als letzte Aktion vor dem Sprung.
Eleganz
Eine richtige Vorgehensweise ist übrigens kraftsparend. Die dazugehörige Aussage lautet: Setze nur so viel Aufwand ein, wie nötig ist und verzichtet ansonsten auf Albernheiten. Warum soll man sich anstrengen, wenn man die gleiche Sache mit weniger Aufwand durchführen kann? Man sollte schauen, dass die Muskeln nicht ohne Grund beansprucht werden, etwa indem man z.B. – und das geschieht leider häufig – in der Hocke fährt. Beuge- und Steckmuskeln sollen abwechselnd belastet werden, so dass sich jeder Muskel ausruht, und sei es nur eine halbe Sekunde lang. Ein permanentes Fahren in der Hocke macht die Muskel müde, blau und schlapp.
Bleibt also, sofern möglich, in einer Phase eures Schwunges spannungsfrei. Die Kraftorgane öffnen sich, die Blutgefäße expandieren und frisches Blut kommt nach. Wer nur in der Hocke sitzt, sei es auf einer flachen Wiese oder einer Buckelpiste, bekommt irgendwann dünnen Atem und keine Lust mehr, wo das Gegenteil doch so einfach zu erreichen ist.
Elastizität
Ein Schwung ist elastisch auszuführen. Der Muskel ist eine Art Gummiband und er kann sich dehnen. Da soll sich auch nichts verklemmen. Das Muskelband steckt und dehnt sich. Unser Skelett ist grundsätzlich nicht so aufgebaut, dass ein Muskel sich verklemmen muss, in dem Sinne, dass er über eine Richtungsänderung wuchtet oder gegen ein anderes Körperteil drückt. Es erscheint uns manchmal nur so.
Druckpunkt versus Druckphase
Seit die Taillierung der Ski flächendeckend Verbreitung gefunden hat, konnte man länger auf der Kante stehen. Der Druck auf die Kante verteilte sich auf mehrere Meter Fahrstrecke. Eine schöne Sache, wie wir finden. Ursprünglich gab man aber diesen kurzen Kantendruck. Davon sprachen wir ja eben.
Ein Gegenargument lautet: Der Mensch ist von Natur aus für das Laufen geschaffen. Beim Laufen oder Joggen, haben wir – man überprüfe das bitte – einen kurzen Moment der Kontraktion. Wir laufen eben. Das Gegenteil wäre das Laufen durch den Tiefschnee oder durch eine Sanddüne, wo die Muskeln länger unter Krafteinfluss stehen. Könnt Ihr euch das vorstellen? Es ist anstrengender durch den Tiefschnee zu gehen, als über einen harten, stabilen Weg?
In den Buckelpisten verhält es sich nicht anders. Wir sehen dort mächtig viele Leute, ganze Kompanien von Individuen, die hinten aufsitzen. Sie haben die Oberschenkelmuskel immer angespannt. Die Könner hingegen geben nur einen kurzen Druckpunkt, der sich sofort wieder auflöst. Es ist also Teil der Kunstfertigkeit, einen kurzen Druckpunkt zu haben. Und eine noch größere Kunst ist es, den Druckpunkt weich zu halten. In der Buckelpiste fährt man mit Druckpunkteinsatz.
Auf diesen Druckpunkt verzichten heute die Carver, soweit ich das sehe. Die Oberschenkelmuskel stehen ständig unter Spannung. Mit Druckpunkt zu fahren ist jedoch entspannter. Wenn Du im Schwung einen Druckpunkt setzt, dann sind in der restlichen Zeit die Muskeln locker. Die Gesamtanstrengung nimmt ab und die Bewegung kommt dem Joggen nahe.
Die Hocke der Wettkampfskifahrer
In Torläufen wird ein Weg gesucht, der möglichst am Limit liegt und man fährt nur ein bis zwei Minuten lang, dann ist der Hang abgefahren und das Rennen beendet. Die Wettkämpfer müssen den Luftwiderstand also als eine Teilkomponente ihrer Aufgabe beachten. Sie beugen den Oberkörper nach vorne, und gehen in die Hocke, manchmal sogar bis in die sogenannte ‚Eiform‘, um der Eile genüge zu tun, was ohne Stoppuhr nicht in dem Maße notwendig wäre. Wenn man frei Schnauze fährt, kann man sich seinen Weg suchen und man darf anhalten, wenn einem danach ist.
Klebetechnik
Könnten wir uns einen Schwung vorstellen, bei dem wir während des ganzen Schwunges Druck auf die Kante geben? Wir müssten uns dazu aber aktiv strecken und beugen. Wir strecken uns zuerst und ziehen die Beine wieder an. Das heißt, wir versuchten, den Fersendruck in allen Phasen des Schwunges gleich zu dosieren. Zuerst strecken wir uns aktiv, dann ziehen wir die Beine an. Ich wiederhole: Wir strecken und beugen uns aktiv.
Kennen wir das nicht irgend wo her? Ist das nicht jenes, was wir schon mal „Klebetechnik“ genannt haben? Genau. Darauf wollte ich auch hinaus. Es geht darum, dass die „Klebetechnik“, eine Technik, bei der es aussieht, als würden die Ski von alleine auf dem Boden kleben, ins Flache übertragen wird. Das kann natürlich nur bei kurzen Schwüngen klappen. Das Verfahren, von dem ihr hier hört, gilt also nur für kurze Schwünge. Bei langgezogenen Schwüngen soll man die Beine nicht anziehen, und wenn doch, dann macht es keinen Sinn.
Wenn Ihr einen Druckpunkt anwendet beim Fahren, dann ist das über den Tag hinweg entspannter. Im Torlauf verliert Ihr durch ein Fahren mit Druckpunkten Zeit. In der Buckelpiste wird mit Druckpunkten gefahren.