Temporäre Materialprobleme

Wer 60 Jahre lang Ski fährt, verbraucht in seinem Leben ungefähr 10 – 20 Paar Skischuhe. Die wollen alle erst mal eingekauft werden. Dass da unter Umständen mal eine faule Nuss dabei sein könnte, ist also alleine aufgrund der Menge nicht unwahrscheinlich. Mein schönstes Skischuherlebnis begann vor einigen Jahren und bereitet mir bis heute eine nicht enden wollende Quelle der Freude. Aber ich habe das Problem sicher bald gelöst, es kann nicht mehr lange dauern.

Ich war 21 Jahre alt und die Präzisionswaffe der Marke Lange war deutlich in die Jahre gekommen.  Ich ging zu meinem Händler. Es sollte ein Rennmodell sein. Mein Händler hat mich freundschaftlich an die Schulter gehalten und gesagt, er habe da was für mich, und zwar genau das Richtige. Er nahm einen gelben Lange-Schuh aus seiner Kollektion – und viel kosten tat er auch nicht. Ich schaute mir das Exemplar an, aber mir gefiel das Ding nicht, denn es war kein Rennmodell. Was sollte ich mit einem Komfortschuh anfangen – in Rente gehen oder was? Der Mann hakte ein, dass der Schuh für die gebotene Qualität zu billig sei  – wohl eine „dumme“ Preispolitik des Herstellers. Er hat mir das drei mal an diesem Abend erzählt und ich habe diese Aussage einfach nicht verstehen wollen.

Manchmal sollte man hören statt zu denken. Ich habe mir dann einen anderen Schuh besorgt, und natürlich zum Schäumen, und natürlich einen Rennschuh – aber irgendwie den Falschen. (Es war übrigens der Gleiche, den der weicheste Performer unter den Weltcupfahrern verwendet hat: Der Schuh des Dale Begg Smith. Mein grundsätzlicher Instikt war also so falsch nicht). Bereits beim Einschäumen merkte ich: Hoppla, da stimmte irgendwas nicht. Reichte der Platz am Vorderfuß vielleicht ganz und gar nicht? So war es dann leider. Ein Jahr später landeten die Dinger in der Tonne, aber seitdem war der Wurm drin.

Ein Lederschuh passt sich mit der Zeit an den Fuß an, denn Leder dehnt sich bekanntlich. Ein Skischuh besteht aber aus Plastik und da gibt überhaupt nichts nach. Wenn es weh tut, dann solltest Du sofort was tun und nicht auf ein fügsames Wunder hoffen. Einige Sportgeschäfte bieten einem an, die Schuhsschale zu erhitzen und auszuweiten. Das mit dem Ausweiten ist so eine Sache: Die Beule hält vielleicht ein paar Stunden, aber dann zieht sich der Schuh wieder zusammen, wie ein Luftballon, aus dem man die Luft entweichen lässt. Anschließend hat die Kokosnuss wieder ihre alte Form. Eine Schale aus Plastik vergisst ihre Ursprungsform nicht und ein korrektes Ausweiten ist auch millimetergenau durchzuführen. Solche Feinjustierungen kann nicht jeder beliebige Mensch, der zufällig in einem Geschäft herumsteht und eine Weitungsmaschine anschalten kann, einfach so erfolgreich durchführen.

Bei mir klemmte es jedenfalls danach. War anfangs nur ein temporäres Problem. Ich probierte verschiedene Workarounds, arbeitete mit Pflastern, dicken Socken, Bandagen. Jeder Fuß schmerzte an anderer Stelle. Das eine Problem war die rechte Seite, denn mein rechter Fuß ist breiter. Auf der linken Seite knickt mein Fuß beim Auftreten etwas ab und seit dem Urlaub mit den engen Schuhen habe ich dummerweise eine Cocktailtomate statt einem Innenknöchel. All das war und ist leider ziemlich doof.

Ein permanenter Schmerz hat übrigens Auswirkungen. Man gewöhnt sich an, eine Wunde, die schmerzt, beim Fahren verstärkt zu reizen. Das wird dann richtig lustig. Je länger man rummacht, desto präsenter werden die Probleme. An den betroffenen Stellen wachsen die Knorpel weiter und benötigen dann noch mehr Platz. Überbeine entstehen. Irgendwann steckt man tatsächlich in einer Daumenschraube. Auch weit entfernt von den Füßen, am Oberkörper hast du Probleme, kannst dich nicht mehr richtig ausbalancieren. Dann passt irgendwie gar nichts mehr. Du fühlst dich wie eine Kippstange, die permanent umgeschmissen wird. Deine Fähigkeiten kannst Du nicht mehr anwenden und Du verletzt Dich bei Situationen, die mal ein Klacks waren. So kommt Eines zum Anderen: Enger Schuh, versauter Stil und das mit der Kondition ist auch so eine Sache.

Man wird mürbe und stellt dumme Fragen: Schaue sich einer doch diese Betonschuhe an, die mit Stahlfedern an die Ski geschraubt sind. Unsere Gelenke müssen sich doch verdrehen, gar brechen aufgrund der dort auftretenden Kräfte. Schützen denn keine Erlasse die menschlichen Knochen? Ist der ganze Skisport nicht eine Ungerechtigkeit gegen das Skelett und die zugehörigen Bänder?

Zu jedem Problem existieren noch Steigerungen – da will ich gar nicht dran denken. Das temporäre Problem habe ich seit etwa 30 Jahren, aber mir fallen immer neue Methode ein. In einige Sportläden sollte ich nicht mehr reingehen und das ist keine Kritik an deren Hilfsbereitschaft.

Tipp zum Schluss

Als Tipp kann ich den Kandidaten unter Euch,  die vergleichbare Probleme haben – vielleicht auch als beobachtende Freunde, Eltern oder Skilehrer dieser Betroffenen und die dieses Kapitel lesen – sagen: Nehmt immer die alten Schuhe in den ersten Tagen des folgenden Urlaubs mit, sofern möglich und verschleppt nicht die Druckstellen und versucht nicht so die Urlaubszeit zu überstehen. Und wenn nichts hilft? Dann gebt in der Not halt mal tausend Euro vor Ort aus. Denkt daran, dass später Rat teuer ist. Und es ist normal, dass man irgendwann mal einen Missgriff tut. In den meisten Skigebieten gibt es Verkäufer, die sehr von sich überzeugt sind und Euch die Welt anhand einer Schuhsoleneinlage erklären. Beißt die Lippen zusammen, finanziert ihnen die Sache und so geht es weiter. Kennt Ihr den Spruch: „Gefahr liegt im Verzug“? Ein temporärer Schmerz kann sonst noch temporärer werden.

Ich gebe also zu, dass ich Probleme habe, aber ich habe sie nicht aus Verletzungsgründen. Vielleicht hätte ich diese Schwierigkeiten tatsächlich bekommen, wenn ich weiter und ungebremst so gefahren wäre, wie in meinen frühen Tagen.