Bis auf die Zähne

Überlegungen zu Wettkampfsportarten – 2007

Eine Ansage für alle, die es mit der körperlichen Anstrengung nicht so wichtig nehmen: Der Körper jedes Lebewesens braucht Bewegung, um seine Bewegungsfähigkeit nicht zu verlieren. So auch der Mensch. Also sitzt der typische Mensch nicht nur auf dem Gesäß vor der Spielkonsole, sondern treibt ab und zu Sport. Er tut dies am liebsten in der Natur. Wenn er es sein lässt, so wird er sehen, was mit ihm passiert. Sport sollte ein Anlass sein, die Sportsachen anzuziehen und etwas zu machen, was mal sinnvoll oder mal weniger sinnvoll ist. Es geht auch darum, die eigenen Grenzen zu entdecken. Wir beschäftigen uns in diesem Kapitel nochmals mit dem Wettkampfsport.

Der Wettkampfsport ist ja an und für sich nichts verkehrtes, aber nur, wenn man ihn nicht allzu ernst nimmt. Zugegeben: Wettkämpfe sind ein öffentliches Ereignis, zu dem Leute kommen. In der Regel sind die Karten bunt gemischt und all wollen wissen, wie es ausgeht. Es hat natürlich keinen Sinn, eine Jugendmannschaft gegen einen Verein in der ersten Liga anzusetzen. Aber wenn zwei Gruppen auf vergleichbarem Niveau miteinander agieren, dann können die Teilnehmer und Besucher später, am Abend zusammen sitzen, Rauschelimos konsumieren und sich gegenseitig auf die Schultern klopfen.

Wir müssen auch feststellen, dass viele Buckelpistenfahrer zunächst Wettkampfambitionen hatten, und zwar im klassischen Bereich des Torlaufs, die sich dann nicht erfüllten und sich daher anderen Sachen zuwandten. Mittelfristig wird kaum einer den Übergang zur Buckelpiste bereut haben.

Heute drängen Elitesportler immer willensstärker in Richtung Sieg, als seien sie ungeborene Kinder oder Säuglinge, die sich durch den engen Geburtskanal der Mutter drücken müssen, um zum Leben zu gelangen. Kann ein Sportler nur dann existieren und überleben, wenn er die Konkurrenz platt macht? Die Steigerung einer Goldmedaille ist der Rekord, also ein Sieg über alle Wettkämpfe der letzten 100 Jahre. Es scheint ja immer ein besonderes Ereignis zu sein, wenn derartiges geschieht. Man erlebt in diesen Momenten so eine Art Hauch der Ewigkeit. Oho! Na bitte.

Hochleistungssport ist ein Selbstläufer geworden, der die Anstrengungen der Teilnehmer fordert, aber zum Großteil auch vernichtet. Warum vernichtet? Ja, was bringt Dir denn Dein Willen, wenn andere Sportler auch einen Willen haben, aber aus unbegreiflichen Gründen mehr Talent als Du haben oder aus begreifbaren Gründen bessere Trainer und Trainingsmöglichkeiten erhalten? Zu den wenigen Leuten auf dem Siegerpodium zählen nämlich Dutzende von weiteren Leuten, die sich nicht weniger bemüht haben und am Ende nur dekorativ herumstehen. Wir sehen drei entspannte Stars, die in die Kameras winken und hören ihre Landeshymnen. Was ist mit den anderen?

Leistungssport

Leistungssportler trainieren vom Aufstehen bis zum Abend und haben wenig Zeit, sich um solche Sachen, wie eine reguläre Berufsausbildung zu kümmern. Ein Risiko, welches sie durchaus geplant eingehen. Eine Methode, sich aus diesem Engpass herauszuwinden, ist, sich ein zusätzliches Einkommen zu besorgen. Das heißt, sie versuchen so präsent zu werden, dass Einkünfte daraus entstehen. Dann passt es und sie können bei Wunsch eine Familie ernähren und ein Lebensziel wäre erreicht. Bei bildenden Künstlern und Musikern ist das nicht anders. In den meisten Fällen wird dieser Plan allerdings nicht realisiert und niemand bekommt etwas davon mit. Somit ist diese Ergebnisorientierung beim Sport eine Verschwendung menschlicher Potentiale. Meint Ihr nicht? Na gut. Ein Leistungssportler kann später Sportlehrer werden, oder Trainer in seinem Bereich. Ein Kreativer kann als Lehrer tätig sein.

Gold, Silber, Bronze

Bei Sportübertragungen wird das immergleiche Spielchen gespielt: Die Betreiber verteilen Gold, Silber und Bronze. Eine todernste Angelegenheit für die Chipsfresser vor den Fernsehern. Denn das sind ja die wahren Spezialisten. Diese Typen haben kein Interesse daran, Bewegungsideen und psychologische Details aufzuspüren. Nein. Sport ist so etwas wie ein Würfelspiel. Man kuckt, wie der Würfel fällt, und denkt nicht über vergangene Würfelspiele nach.

Wenn eine olympische Medaille ins Verhältnis zur Förderung der Athleten gesetzt wird, dann ist eine Medaille einen Haufen Geld wert: Anscheinend zwei bis drei Millionen – jedenfalls bei olympischen Wettkämpfen. Es geht um ökonomische Fragen. Hierüber darf man sich nicht lustig machen, schon gar nicht im aktuellen Sportstudio.

Eddy the eagle

Mit wenigen Ausnahmen. Eine Figur, die wie eine Seifenblase kurz mal aufpoppte und dann wieder verschwand, hieß Eddy „The Eagle“ und seine Geschichte ereignete sich 1988 bei den olympischen Spielen in Calgary. Eddy war ein britischer Skispringer. Nun, wir wissen alle, dass das Skispringen in Großbritannien wohl noch nie eine Hochkonjungtur erlebt hat. Irgendwie hatte es Eddy aber gerade darum geschafft, in die Olympiamannschaft aufgenommen zu werden. Eddy war ein bedauernswert aussehender Einzelgänger, mit einem krummen Lächeln und einer Brille aus Panzerglas, und er zeigte uns wirklich desaströse Auftritte. Dennoch – oder gerade darum – kitzelte er die Zwerchfelle der Zuschauer. Wenn alle Teilnehmer so um die 120 Meter sprangen, schaffte Eddi immerhin siebzig davon. Er sprang in jedem Durchgang als erster, denn der erste Springer ist in der Regel derjenige, der die kürzesten Sprünge macht. Er erzeugte damit aufgeräumte Stimmung. Wir waren jedes Mal froh, wenn dieser ‚Adler‘ seine Wirbelsäule nicht vollständig durch einen Sturz zertrümmerte. Die Zuschauer begannen sich im Laufe der Veranstaltung nur noch für das Schicksal dieses „Eddy the Eagle“ zu interessieren. Die anderen Trainer fanden das total doof und haben dafür gesorgt, dass derartige Inkompetenz nicht mehr an den Start gehen darf.

 

Humorlosigkeit

Oder nehmen wir die Frauen beim Skisprung. Seit einigen Jahren dürfen junge Frauen wettkampfmäßig von der Schanze runter springen und man merkt, wie unernst diese Truppe das Spiel um die ersten, zweiten und dritten Plätze sieht. Ist es nicht eine Leistung jenseits aller Kritiken, als Frau überhaupt auf den Schanzentisch herauf zu klettern – und sich dann abzustoßen? Das sage ich als jemand, der junge Wettkämpferinnen kennt und der schon mal versucht hat, als Trainer per dekret Mut einzufordern und der damit gescheitert ist. Aber die Reporter merken nichts davon, bleiben stoisch bei der Sache, auch wenn sie ironisch grinsende Frauengesichter mit der Kamera einfangen. Fahrt Ihr da mal runter, Ihr lieben Reporter, diese Schanze der Mädels.

Der Leistungssport ist humorlos geworden und vielleicht war er das schon immer. Da sich das Buckelpistenfahren für Wettkämpfe nicht wirklich eignet, können wir feststellen, dass sich uns gewisse Freiheiten erhalten haben. Ein Gummihund in unserem Sinne braucht keinen Wettkampf zu gewinnen. Er darf ab und zu einen Jugendlichen mit einem belebenden Stab berühren und die Leute, die weniger Potential besitzen, auf den Boden der Tatsachen stellen. Das ist seine Aufgabe. Mehr nicht. Er sammelt keine Metallmünzen und will sie sich nicht um den Hals binden. Er benötigt auch keine schwarzen Gürtel.

Nachtrag

Wir haben diesen Eddie wohl weniger ernst genommen, als er sich selbst. Ich habe aber gehört, dass er im Alter von 50 Jahren noch einen doppelten Salto mit Kopf-vor vom 10 Meter Turm ins Wasser springt. Damit erfüllt er die Kriterien von ‚Gummihund‘ und hat sich unseren Respekt verdient. Kennt Ihr jemanden persönlich, der derartiges hinbekommt? Da muss ich passen, ich kenne niemanden.